(Gastbeitrag von Anni) Das hätte ich mir nicht träumen lassen – drei Monate alleine in einem Van im Norden Kanadas unterwegs sein, ausgestattet nur mit dem Nötigsten. Im Land der großen Weite, der Mitternachtssonne und der Bären. 2023 ist dieses Abenteuer Wirklichkeit geworden. In Yukon hatte ich den Sommer meines Lebens.
Es war nicht meine erste Solo-Tour. Zuvor konnte ich mich in Europa erproben, bin in Skandinavien mit meinem Pickup gereist, auf dessen überdachter Ladefläche ich schlafen kann. Dagegen ist der Van Luxus, er verfügt immerhin über ein Bett mit Matratze, Stauraum und man kann sofort wegfahren, ohne von außen ums Fahrzeug herumzulaufen. Beim Alleinreisen in Kanada ist mir das wichtig.
Ich reise leicht – mit einem Campingkocher, Wasserbehältern, einem Faltklo für Notfälle. Keine Küche, kein Kühlschrank, keine Dusche. Auf vieles kann ich verzichten, manches ist kostenpflichtig zu erwerben.


Mein Van heißt Bertha. Sie ist 25 Jahre alt, verbeult, der Lack platzt ab. Perfekt – dieses Fahrzeug will niemand klauen. Sie ist allerdings auch moody, hat ihre Launen. Ich würde jedem, der einen Roadtrip plant, den Kauf eines geprüften, verkehrssicheren Vehikels empfehlen. Mir fehlte das Geld bzw. die Bereitschaft, einen Kredit aufzunehmen, daher hielt ich mich nicht an diesen sinnvollen Rat. Und ja, das hat mir einige graue Haare und Schreckmomente beschert.
Der Van hat mir die Möglichkeit gegeben, den Yukon völlig selbstbestimmt zu erfahren. Es gibt dort keine öffentlichen Verkehrsmittel und Mietfahrzeuge sind teuer. Drei Monate waren Bertha, mein kleines plüschiges Expeditionsteam und ich unterwegs. Zuvor hatte ich meine Anwaltskanzlei zugemacht, volles Risiko – Mann, was hatte ich einen Bammel. Es war die einzig richtige Entscheidung, mit einem Fuß im Burnout und getrieben von einer tiefen Sehnsucht nach einem neuen, anderen Leben. Raus aus der Komfortzone, rein ins Abenteuer.
Ich möchte dich mitnehmen in mein Herzensland, an den Ort, der für mich Glück und Freiheit bedeutet: Ins Yukon Territorium, das mit seiner rauen Schönheit verzaubert.
Tummeln sich in Deutschland 83,5 Millionen Menschen auf rund 357.500 km², sind es im Yukon nur etwa 47.000 auf einer Fläche von 482.443 km². Im Winter kann es bis -50 Grad kalt werden, im kurzen Sommer schwitzt man mitunter bei 30 Grad.
Es gibt nur wenige Straßen, bekannt ist besonders der Alaska Highway. Die Entfernungen sind anders als bei uns – zum Großeinkauf 400 Kilometer fahren? Nichts Besonderes. Geduld sollte man mitbringen, sei es, wenn der einzige Highway gesperrt ist, der Vordermann im Supermarkt ein ausgedehntes Schwätzchen mit dem Kassierer hält oder eine dringend benötigte Ware erst in zehn Tagen abholbereit ist.
Es ist der perfekte Flecken Erde, um die Seele baumeln zu lassen – außerhalb von Ortschaften meist ohne Handyempfang, ganz im Hier und Jetzt. Ob im Kanu, beim Tiere-Beobachten oder am Lagerfeuer, Stress adé!
Die folgende Auflistung ist eine kleine Auswahl meiner Lieblingsplätze im Yukon. Es gibt soo viele mehr! Und jetzt bitte einsteigen und den Sicherheitsgurt schließen, Bertha fährt los!
Wir starten auf der
1. Haines Road (südlicher Yukon)
oder Haines Highway, einer herrlichen Panoramastraße zwischen Haines Junction im Yukon Territorium und Haines in Alaska. Sie folgt einer alten Handelsroute der indigenen Stämme, die hier früher ihre Waren austauschten. Die weite Landschaft mit schroffen, hohen Bergen und bewaldeten Tälern ist atemberaubend. Bis spät im Sommer sind die Gipfel der St. Elias Mountains schneebedeckt.
Ein voller Tank empfiehlt sich bei Antritt der Reise, denn es gibt auf der gesamten Strecke von 238 Kilometern keine Tankstelle. In Haines angekommen geht es entweder retour oder mit der Fähre weiter nach Juneau oder Skagway, Alaska.
Von der Haines Road biegt eine Straße ab zum
2. Kathleen Lake
Der glasklare Gletschersee mit Bootsanleger und Picknickgelände sieht traumhaft aus, im Hintergrund die rauen Berge der Kluane Range. Ein toller Startpunkt für Wanderungen.
Parks Canada unterhält hier einen schönen, dicht bewaldeten Campingplatz. Neben klassischem Camping kann man rustikale oTENTik-Unterkünfte mieten, eine Mischung aus Hütte und Zelt. Mit fließendem Wasser hat die Anlage mehr zu bieten als andere staatliche Campingplätze, dafür muss man das Feuerholz bezahlen. Regelmäßige Vorträge bei Tee und Kakao am Lagerfeuer mit Parkmitarbeitern sind informativ und unterhaltsam.
Wunderschön und parallel zum Highway gelegen ist der knapp 80 m² große
3. Dezadeash Lake
vor der Gebirgskulisse des Kluane Nationalparks. Es ist ein relativ flacher und warmer See, in dem man Fischarten wie Seeforelle (lake trout), Hecht (northern pike) oder Äsche (Arctic grayling) findet. Angler kommen auf ihre Kosten, ebenso Paddler und Bootfahrer.
Am Westufer, direkt an der Haines Road, befindet sich ein staatlicher Campingplatz mit der typischen Ausstattung: Plumpsklo, Picknicktisch, Feuerstelle und Gratis-Holz, sowie einer Schutzhütte zum Kochen und Unterstellen. Man ist ganz nah am Wasser – Obacht, es kann stürmisch werden!
Ebenfalls an der Haines Road befinden sich einige Wanderwege wie der recht einfache, 2,3 Kilometer lange Rock Glacier Trail mit einem tollen Blick über einen ehemaligen Gletscher und den Dezadeash Lake. Festes Schuhwerk empfiehlt sich, denn der Name ist Programm: Der Weg ist teils steinig.
Der familiengeeignete St. Elias Lake Trail mit einer Länge von 7,7 Kilometern und herrlichem Bergpanorama führt durch Wald- und subalpine Wiesenlandschaft, im Frühsommer erfreuen bunte Wildblumen das Auge. Am grün schimmernden See kann man picknicken und zelten. Fernglas nicht vergessen fürs Tiere-Beobachten!
Wer es anspruchsvoll mag, begibt sich 22 Kilometer auf den King’s Throne Trail, der in der Nähe des Kathleen Lake Campingplatzes beginnt. Steile Anstiege werden belohnt mit einer spektakulären Aussicht auf den See und die umliegenden Täler. Wanderer sollten über gute Kondition und Erfahrung mit alpinen Routen verfügen.
Je nach Saison und Bärenaktivität kann es sein, dass das Begehen der Trails nur als Gruppe gestattet ist, bei Zuwiderhandlung und Erwischt-werden drohen hohe Bußgelder. Wer will sich schon mit einem aggressiven Bären anlegen?
Kurz bevor die Haines Road das Yukon Territorium verlässt und nach British Columbia führt, lohnt ein Abstecher zum einsamen Million Dollar Falls Campground, auf dessen Gelände sich der gleichnamige Wasserfall befindet. Ein kleiner Pfad mit Aussichtsplattformen führt daran entlang. Der einfach ausgestattete, idyllische Campingplatz ist gerade zu Beginn oder Ende der Sommersaison kaum besucht und man hat das Gefühl, ihn ganz für sich alleine zu haben.
Ob auf dem Hin- oder Rückweg empfehle ich einen Besuch des ansprechend gestalteten Visitor Centre in Haines Junction, neben dem sich das Da Kų Culture Centre befindet, ein Kultur- und Ausstellungszentrum der First Nations. Ein Muss zudem die Village Bakery in der Kluane Street, Süßes und Herzhaftes für jeden Geschmack, yummy!




4. Carcross (südlicher Yukon)
Vom südlichen Klondike Highway führt ein Abzweig nach Carcross, dessen ursprünglicher Name Caribou Crossing an die großen Tierherden erinnert, die hier einst durch das Land zogen. In Carcross kann man indigene Kultur und Kunst bewundern, es gibt neben Cafés, kleinen Shops und einem Spukhotel auch die »kleinste Wüste der Welt«, sowie das älteste, noch aktive Geschäft im Yukon: Das Eis in den selbstgebackenen Waffeln des Matthew Watson General Store ist legendär.
Am Ufer des Bennett Lake herrscht an warmen Tagen gelöste Strandstimmung, es wird gepaddelt und gebadet. Man kann am Wasser entlang durch feinen Sand spazieren oder umliegenden Wald und Dünen auf kleinen Wegen erkunden.
Im Sommer fährt eine historische Eisenbahn, die White Pass & Yukon Route Railway, auf den Spuren des Goldrauschs ins 105 Kilometer entferne Skagway, Alaska. Eine lohnenswerte Exkursion durch faszinierende Landschaft.


5. Dawson City (nördlicher Yukon)
Für mich ein Pflichtbesuch: Dawson City, die alte Goldgräberstadt am Yukon River, die um 1900, zur Zeit des großen Goldrauschs, zehntausende Glücksritter anzog. Heute wesentlich dünner besiedelt ist Wild-West-Flair noch immer garantiert: Bunte Holzfassaden, hölzerne Bürgersteige und staubige Straßen versetzen Besucher in Cowboy-Stimmung. Touristen, Guides, Goldminenarbeiter und skurrile Gestalten bevölkern den Ort. Can-Can im Casino, Bars, Restaurants, Indoor- und Outdoor-Veranstaltungen – in Dawson ist immer was los, zumindest im Sommer.
Ich würde mindestens zwei Übernachtungen einplanen. Empfehlenswert: Eine Fahrt zum Aussichtspunkt Midnight Dome mit Rundumblick über Klondike und Yukon River, Dawson City und die nicht enden wollenden Ogilvie Mountains.
Wer in der Zeit zurückreisen will, kann sich einer historischen Stadtführung anschließen.
Ein fragwürdiges Vergnügen mit Urkunde ist der Sourtoe Cocktail, der im Saloon des Downtown Hotel serviert wird: Ein mumifizierter Zeh im Glas ist das gewisse Extra.
Ich bevorzuge ein Bier im The Pit, einer urigen Bar im grellrosa gestrichenen Westminster Hotel.
Abends geht’s ins Casino Diamond Tooth Gertie’s mit wechselnden Unterhaltungsshows.
Etwas außerhalb gelegen an der Straße zu Dawsons Goldfeldern: Der restaurierte Schwimmbagger Dredge No. 4, mit dem im letzten Jahrhundert Gold im Wert von 8,6 Millionen Dollar aus dem Boden geholt wurde. Eine mobile Goldfabrik, die sich durch die Landschaft fraß, ein beeindruckendes Zeitzeugnis.
Wer selbst sein Glück versuchen möchte, kann eine Tour zu einer Goldmine buchen.




Ich hoffe, ich habe deine Neugier auf den Yukon geweckt.
Wie wär’s, nächster Urlaub, ein Roadtrip in den Norden Kanadas? Ich bin auf jeden Fall da.
Wenn du mehr über meine Auszeit erfahren willst, begleite mich doch einfach in meinem Buch: Sommer im Yukon: Bären, Goldgräber und ein neues Ich.



Über Anni: Anni ist reisebegeistert und verliebt in den Norden Kanadas. 2023 hat sie ihre Anwaltskanzlei aufgegeben, um drei Monate im Yukon in einem alten Van unterwegs zu sein. Sie lebt in NRW und ist als rechtliche Betreuerin tätig. Wenn sie nicht auf Dawsons Goldfeldern ist, schreibt Anni ihre Abenteuer auf. Auf das ganz große Nugget wartet sie noch. Doch selbst damit würde sie die verbeulte Bertha behalten.
