1.000 Kilometer allein wandern? Doris hat es gewagt und war 54 Tage am South West Coast Path in England unterwegs. Wie es ihr dabei gegangen ist und welche wichtigen Learnings sie von dieser Reise mitgenommen hat, erfährst du hier.
Über den South West Coast Path
Englands längster Fernwanderweg. 1.014 Kilometer (oder 630 Meilen) ist dieser National Trail laut offiziellen Angaben lang – fragt man allerdings die Wandercommunity, darf man zu dieser Zahl ruhig noch ein paar Meilen dazurechnen. Immer an der Küste entlang führt er durch die vier Grafschaften Somerset, Devon, Cornwall und Dorset.
Von der Bezeichnung „Küstenpfad“ sollte man sicher allerdings nicht täuschen lassen. Insgesamt gilt es auf diesem Weg in einem steten Auf und Ab nämlich ganze 35.000 Höhenmeter zu überwinden, mit bis zu 1.400 Höhenmetern pro Etappe.
Vielleicht hast du ja sogar schon mal von diesem Wanderweg gehört. Seit vor einigen Jahren das Buch „Der Salzpfad“ von Raynor Winn erschienen und zum weltweiten Bestseller geworden ist, hat er nämlich Einiges an Aufmerksamkeit gewonnen (ja, ich habe das Buch gelesen, nein, ich bin nicht deswegen hin).
Derartig bekannt und beliebt wie beispielsweise der Jakobsweg in Spanien ist der South West Coast Path aber (noch) nicht – und das ist auch gut so. Und meine eigene Geschichte ist bei Weitem weniger tragisch als die von Raynor Winn.
Meine Wanderung immer links vom Meer
Eins vorab: Ich war mal ein richtiger Wandermuffel. Wandern hieß für mich lange Zeit völlig außer Atem und komplett fertig hinter meiner jeweiligen (ständig viel schnelleren Begleitung) irgendeinen Berg zu erklimmen und danach mit schmerzenden Knien dieselbe Strecke wieder hinabzusteigen. Von Genuss keine Spur. Und wenn ich ehrlich bin, bin ich nach wie vor keine leidenschaftliche Bergwanderin.
Aber 2020 habe ich das Weitwandern für mich entdeckt. „Weit“ – das war damals eine Strecke von 80 Kilometern in vier Tagen. Danach war ich ein körperliches Wrack mit kaputten Füßen und Muskelkater am ganzen Körper. Trotzdem habe ich direkt im Anschluss begonnen, nach anderen Weitwanderwegen zu googeln. Welche Ausmaße das einmal annehmen würde, konnte ich damals ja noch nicht ahnen.
Ziemlich genau drei Jahre nach meiner ersten Mehrtageswanderung stand ich also am 1. Mai 2023 in Minehead im englischen Somerset, mit meinem Rucksack am Rücken, den Wanderschuhen an den Füßen und bereit, den South West Coast Path in Angriff zu nehmen. Die ganzen 1.014 Kilometer. In einem Rutsch.
Meine wichtigsten Learnings am South West Coast Path.
Ohne Angst kein Mut
Ich bin nicht mutig. Oder zumindest wesentlich weniger mutig, als manche Menschen glauben. Ich könnte ganze Seiten füllen mit Dingen, die mir vor der Wanderung Angst gemacht haben oder damit, welche (im Grunde völlig unnötigen) Sorgen ich mir gemacht habe. Angefangen von: „Was, wenn ich von der Klippe geweht werde?“ bis hin zu: „Was, wenn ich danach nie wieder Aufträge bekomme und verhungern muss?“ Nichts davon ist eingetreten.
Und ich bin mir selbst wahnsinnig dankbar, mich meinen Ängsten gestellt zu haben. Für alle, die noch zweifeln oder aus irgendeinem Grund nicht allein losziehen möchten: Nur Mut! Der Weg ist durchgängig super markiert, die Leute freundlich und hilfsbereit und die Infrastruktur großartig.
Weitwandern ist Kopfsache
Die Knie schmerzen, der Rucksack drückt, an den Füßen bilden sich trotz Hirschtalg und Wandersocken Blasen und du hast wahlweise Sonnenbrand oder bist nass bis auf die Unterhose. Irgendwas ist immer und ein Spaziergang ist so eine Wanderung wirklich nicht.
Mehr als einmal habe ich abends, wenn ich endlich an meinem Ziel angekommen bin, heimlich nach Busplänen gegoogelt. Aber dann bin ich am nächsten Tag doch wieder rausgegangen und habe die geplante Strecke zu Fuß zurückgelegt. Ja, Dickköpfigkeit kann auch ihre Vorteile haben. Und neben einer gewissen körperlichen Fitness braucht es meiner Meinung nach vor allem die erforderliche Willenskraft, um so eine Wanderung durchzuziehen.
Wenn du anfängst, Pläne zu machen, fällt irgendwo das Schicksal lachend vom Stuhl
Klar, eine sorgfältige Planung und Vorbereitung ist bei einem derartigen Unterfangen unerlässlich. Aber alles kann man nicht planen. Das Wetter, die Tagesverfassung, die Wegbeschaffenheit … Es hilft, wenn man flexibel bleibt – auch und vor allem im Kopf.
Ich durfte unterwegs lernen, Abstriche zu machen, ohne mich gleich wie eine Versagerin zu fühlen (dazu später mehr). Auch wenn ich dafür erst an die 500 Kilometer zurücklegen musste (ja, manche Erkenntnisse dauern einfach).
Arbeit ist wichtig. Leben ist wichtiger.
Bevor meine Entscheidung zur Weitwanderung gefallen ist, hatte ich vor allem eine Sorge: Ich kann doch nicht mal eben so mein Leben für zwei Monate pausieren und verschwinden.
Bereits nach den ersten zwei Wochen am Path ist mir klar geworden, dass ich damit eigentlich meinte: Ich kann doch nicht mal eben so meine Arbeit pausieren. Denn mehr Leben als beim Wandern geht eigentlich kaum.
Ich habe meinen Körper wieder gespürt und gelernt, auf ihn zu hören. Ich durfte jeden Tag einen bunten Mix aus den unterschiedlichsten Emotionen in voller Intensität über mich ergehen lassen: Freude, Schmerzen, Angst, Stolz, Aufregung, Dankbarkeit.
Die einfachsten Dinge, wie ein kaltes Getränk und frische Socken sind für mich zum absoluten Luxus geworden. Und ich habe es wirklich genossen, anstatt elendslange To-Do-Listen abzuarbeiten zur Abwechslung mal nur einen Fuß vor den anderen setzen zu müssen, um mein Tagessoll zu erfüllen.
Es ist dein Weg und du entscheidest, wie du ihn gehst
Ich habe mich geweigert, auf meine erste richtige Weitwanderung auch noch ein Zelt mitzuschleppen (geschweige denn, darin zu schlafen) und mich für die Luxusvariante mit festen Unterkünften in Form von Bed & Breakfasts, Airbnb und dem gelegentlichen Hotel entschieden.
Das hat dazu geführt, dass ich mich hin und wieder gefragt habe, ob ich es überhaupt „richtig“ mache und mich als Weitwanderin bezeichnen darf (klar darf ich, gewandert bin ich ja schließlich trotzdem).
Außerdem habe ich schon im Vorfeld alle Unterkünfte gebucht und meine Tagesetappen waren somit relativ starr vorgegeben. Unterwegs habe ich dann gemerkt, dass ich mich ein paar Mal einfach verschätzt habe und die jeweiligen Strecken aufgrund ihrer Länge oder Schwierigkeit für mich nicht oder nicht gut machbar waren.
Sich das einzugestehen, fühlte sich erstmal wie eine Niederlage an. Sogar wie scheitern. Aber dann ist mir wieder eingefallen, dass ich das hier ja für mich mache und niemandem einen Streckennachweis schuldig bin. Dass es meine eigene Geschichte ist und ich allein entscheide, wie ich sie schreibe. Also habe ich mir selbst die Erlaubnis gegeben, manche Etappen zu kürzen oder teilweise auszulassen. Und siehe da: Plötzlich hat alles wieder viel mehr Spaß gemacht.
Allein gehen heißt nicht unbedingt allein sein
„Du gehst aber nicht allein, oder?“ war wahrscheinlich eine der Fragen, die ich vor meiner Reise am häufigsten gehört habe. Na, und ob. Es war ja auch nicht gerade so, dass mein Bekanntenkreis Schlange gestanden wäre, um sich einer zweimonatigen Wanderung anzuschließen.
Abgesehen davon bin ich wirklich gern allein unterwegs. Denn das heißt auch, dass ich nur auf mich selbst und meine eigenen Bedürfnisse achten muss. Ich allein durfte (oder musste) entscheiden, wie schnell oder langsam ich gehe, wie oft und wie lang ich stehenbleibe und ob ich zum Abendessen ins Pub gehe oder doch einfach nur in den Supermarkt.
Dass ich allein losgegangen bin, heißt aber nicht, dass ich unterwegs auch die ganze Zeit allein geblieben bin. Ich habe wahnsinnig viele andere Wanderer getroffen, manche nur für eine kurze Etappe, manche wieder und wieder. Und die Wander-Community dort ist wirklich großartig (online wie auch offline). Ich wage sogar zu behaupten, dass unterwegs einige Freundschaften entstanden sind, die sicher noch lange anhalten werden.
Nach der Weitwanderung ist vor der Weitwanderung
Naiv, wie ich war, dachte ich ja wirklich, diese Wanderung wäre eine einmalige Sache. Etwas, das ich einmal im Leben gemacht haben muss, um danach auf immer und ewig zufrieden an meinen Schreibtisch zurückkehren zu können. Falsch gedacht.
Schon als ich nach 54 Tagen am South West Coast Path langsam und völlig aufgelöst dem offiziellen Zielmarker entgegenschritt, wusste ich: Ich will nicht aufhören. Ich will weitermachen. Und Pläne dafür gibt es mittlerweile auch genug.
Schweden, Wales, Bretagne, Portugal – ich muss mich „nur“ noch entscheiden. Seid also gewarnt: Wenn man einmal mit Weitwandern anfängt, kann es leicht sein, dass man so schnell nicht mehr davon loskommt. Es gibt aber definitiv schlimmere Süchte.
Du hast jetzt selbst Lust auf den South West Coast Path bekommen?
Vielleich helfen dir ein paar Tipps von mir bei der Planung:
- Ein Zelt braucht man auf dieser Wanderung nicht, an fast jedem Etappenziel finden sich Unterkünfte in unterschiedlichen Preisklassen. Und wenn dem nicht so ist, sind die Busverbindungen meist ausgezeichnet. Vorbuchen ist zumindest in der Hochsaison und an den Wochenenden aber auf jeden Fall sinnvoll.
- Ich habe den von Paddy Dillon geschriebenen Reiseführer vom Cicerone-Verlag (in englischer Sprache) verwendet. Theoretisch findet man den Weg auch ohne Wanderkarte, da er durchgehend sehr gut beschildert ist. Zum Vorplanen und als Info hätte ich auf meinen Wanderführer aber nicht verzichten wollen.
- Die South West Coast Path Association bietet gegen einen vernünftigen Preis eine Jahresmitgliedschaft an, in der auch ein Reiseführer enthalten ist. Zwingend ist diese Mitgliedschaft natürlich nicht, aber sie unterstützt die Erhaltung dieses Wanderwegs und ist allein deshalb schon empfehlenswert.
- Auf Facebook gibt es eine englischsprachige Gruppe namens „South West Coast Path“, in der sich wahnsinnig viele hilfsbereite Leute tummeln und über die ich auch einige Mitwanderer kennengelernt und vor Ort getroffen habe.
- Nicht alle haben zwei Monate Zeit zum Wandern und das muss auch gar nicht sein. Viele Menschen gehen den Path stückchenweise für jeweils ein oder zwei Wochen. Ich persönlich fand an fast jeder Etappe etwas Reizvolles, also fragt mich bitte nicht, welche ich auswählen würde, wenn nur ein paar Tage dafür Zeit sind. Die meisten würden wohl eine Strecke in Cornwall (z. B. von Port Isaac nach St. Ives) empfehlen. Damit kann man wirklich kaum etwas falsch machen.
- Und ein allerletzter Tipp, vor allem, weil ich es selbst nicht glauben wollte: Dieser Wanderweg ist kein Spaziergang! Natürlich kann man ihn auch aus sportlicher Sicht angehen, aber wenn du ihn und die Umgebung genießen willst, dann rate ich dir wirklich, lieber kürzere als zu lange Etappen zu planen und dich nicht unnötig abzuhetzen.
Über Doris: Doris lebt als selbstständige Texterin und Übersetzerin in Graz und hat das Weitwandern 2020 für sich entdeckt, als die geplante Spanienreise pandemiebedingt ins Wasser fallen musste und sie sich stattdessen mit ihrer Schwester vier Tage lang auf einen Pilgerweg begab. Das Wandern ist ihr geblieben. In Spanien war sie immer noch nicht.
Wenn du mehr über ihre Wanderung am South West Coast Path (und die nächsten geplanten Reisen) erfahren möchtest, findest du sie auf Instagram unter @immer_links_vom_meer ↗
Über ihre Erlebnisse hat sie außerdem in ihrem Buch Immer links vom Meer: Am South West Coast Path 1014 Kilometer durch Südengland ausführlicher geschrieben.
Erhältlich ist es im Buchhandel oder direkt bei der Autorin unter immerlinksvommeer.at ↗